Revision der REACH-Verordnung – aktueller Stand, Ziele und Herausforderungen (Mai 2025)
Die REACH-Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals) ist seit 2007 der zentrale Rechtsrahmen für die Chemikaliensicherheit in der EU. Sie überträgt die Verantwortung für den Nachweis der sicheren Verwendung von Chemikalien von den Behörden auf die Industrie. Im Rahmen des Europäischen Green Deals und der damit verbundenen Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit (CSS), die im Oktober 2020 veröffentlicht wurde, hat die Europäische Kommission eine umfassende Überarbeitung der REACH-Verordnung angekündigt. Unser Beitrag beleuchtet die Hintergründe, die wichtigsten geplanten Änderungen, den aktuellen Zeitplan und die damit verbundenen Herausforderungen.
Hintergrund und Motivation: Die Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit (CSS)
Die CSS ist ein Kernbestandteil des Green Deals und zielt darauf ab, eine “schadstofffreie Umwelt” zu schaffen. Sie identifiziert Bereiche, in denen die bestehende Chemikaliengesetzgebung, insbesondere REACH, gestärkt werden muss.
Wichtige geplante Änderungen der REACH-Verordnung
Obwohl der endgültige Gesetzesvorschlag noch aussteht und sich Details ändern können, kristallisieren sich folgende Kernpunkte der geplanten Revision heraus:
- Registrierung von Polymeren: Bislang sind Polymere weitgehend von der Registrierungspflicht unter REACH ausgenommen. Die Revision sieht vor, bestimmte “Polymers of Concern” (besorgniserregende Polymere) einer Registrierungspflicht zu unterwerfen. Die genauen Kriterien hierfür sind noch Gegenstand der Diskussion.
- Einführung des Konzepts der “essenziellen Verwendung” (Essential Use Concept): Für die gefährlichsten Stoffe (z. B. krebserregend, mutagen, reproduktionstoxisch (CMR), endokrine Disruptoren, persistent, bioakkumulierend und toxisch (PBT)) soll die Verwendung in Verbraucherprodukten grundsätzlich verboten werden. Ausnahmen sollen nur möglich sein, wenn die Verwendung als gesellschaftlich essenziell eingestuft wird und keine sichereren Alternativen verfügbar sind.
- Berücksichtigung von Mischeffekten (Mixture Assessment Factor – MAF): Um den Risiken durch die gleichzeitige Exposition gegenüber mehreren Chemikalien Rechnung zu tragen, soll ein Bewertungsfaktor für Gemische (MAF) in die Stoffsicherheitsbeurteilung integriert werden. Dies könnte dazu führen, dass für einzelne Stoffe strengere Risikomanagementmaßnahmen erforderlich werden.
- Reform der Zulassungs- und Beschränkungsverfahren: Die Verfahren sollen effizienter und schneller werden. Die Zulassung (Authorisation) könnte stärker auf das “Essential Use”-Konzept ausgerichtet und möglicherweise in Teilen durch schnellere Beschränkungen (Restriction) ersetzt werden.
- Verbesserte Informationsanforderungen: Die Standard-Informationsanfor-derungen für Registrierungsdossiers sollen aktualisiert werden, um neue wissenschaftliche Erkenntnisse und Endpunkte (z. B. für Immuntoxizität, Neurotoxizität, Endokrinotoxizität) besser abzudecken. Gleichzeitig soll der Übergang zu tierversuchsfreien Methoden (New Approach Methodologies – NAMs) gefördert werden.
- Stärkung der Kontrollen und Durchsetzung: Geplant sind auch Maßnahmen zur Verbesserung der Dossierqualität und zur effektiveren Durchsetzung der Verordnung durch die Mitgliedstaaten.
- Vereinfachungen für KMU: Es werden spezifische Maßnahmen diskutiert, um den administrativen Aufwand und die Kosten für KMU zu reduzieren, ohne das Schutzniveau zu senken.
Aktueller Zeitplan und Status (Stand: Mai 2025)
Ursprünglich war die Vorlage des Gesetzesvorschlags zur REACH-Revision durch die Europäische Kommission für Ende 2022 geplant. Dieser Zeitplan konnte jedoch nicht eingehalten werden. Gründe hierfür sind die Komplexität der Materie, intensive Konsultationen mit Stakeholdern (Industrie, NGO, Mitgliedstaaten), die Notwendigkeit umfassender Folgenabschätzungen sowie die Auswirkungen externer Krisen (Energiekrise, Krieg in der Ukraine).
Da der Gesetzesvorschlag noch fehlt und der anschließende Prozess Zeit benötigt, ist mit einem Inkrafttreten der überarbeiteten REACH-Verordnung realistischerweise nicht vor 2027 oder 2028 zu rechnen, möglicherweise auch später.
Herausforderungen und Ausblick
Die geplante REACH-Revision stellt einen Balanceakt dar: Einerseits soll sie das hohe Schutzniveau für Mensch und Umwelt in der EU weiter stärken und die Ziele des Green Deals unterstützen. Andererseits muss sie die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie berücksichtigen und praktikabel umsetzbar bleiben, insbesondere für KMUs.
Die Herausforderungen sind vielfältig:
Die Integration neuer Konzepte wie “Essential Use” und MAF ist wissenschaftlich und regulatorisch anspruchsvoll. Insbesondere die Registrierung von Polymeren und die Anpassung an verschärfte Informationsanforderungen werden für die Industrie mit erheblichem Aufwand verbunden sein. Für die Bewertung neuer Endpunkte oder die Anwendung des MAF sind möglicherweise zusätzliche Daten erforderlich. Es muss sichergestellt werden, dass die EU-Industrie im internationalen Vergleich nicht unverhältnismäßig benachteiligt wird. Der endgültige Umfang der Revision wird stark von den politischen Verhandlungen im Rat und im Europäischen Parlament abhängen.
Kernpflichten unter REACH und ihre Compliance-Implikationen
- Registrierung
Unternehmen, die chemische Stoffe als solche, in Gemischen oder (unter bestimmten Bedingungen) in Erzeugnissen in Mengen von 1 Tonne oder mehr pro Jahr herstellen oder in die EU importieren, müssen diese Stoffe bei der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) registrieren. Dies erfordert die Einreichung eines technischen Dossiers mit Informationen über die Eigenschaften, Verwendungen und die sichere Handhabung des Stoffes. Ab 10 Tonnen pro Jahr ist zusätzlich ein Stoffsicherheitsbericht (Chemical Safety Report, CSR) erforderlich, der eine Stoffsicherheitsbeurteilung (Chemical Safety Assessment, CSA) enthält.
Compliance-Auswirkungen:
- Datenerhebung/-generierung: Erhebliche Investitionen in die Sammlung vorhandener Daten oder die Durchführung neuer Studien (physikalisch-chemisch, toxikologisch, ökotoxikologisch).
- Kosten: Gebühren für die Registrierung bei der ECHA, Kosten für Studien, Beratungsleistungen und Personalaufwand.
- Zusammenarbeit: Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit anderen Registranten desselben Stoffes in sogenannten SIEFs (Substance Information Exchange Forums) zur gemeinsamen Datennutzung und Einreichung.
- Ressourcen: Bedarf an spezialisiertem Personal (Regulatory Affairs Manager, Toxikologen etc.) oder externer Expertise.
- Bewertung (Evaluation):
Die ECHA und die Behörden der Mitgliedstaaten bewerten die eingereichten Registrierungsdossiers auf Vollständigkeit und Qualität (Dossierbewertung) sowie bestimmte Stoffe auf potenzielle Risiken (Stoffbewertung).
Compliance-Auswirkungen: Unternehmen können aufgefordert werden, innerhalb bestimmter Fristen zusätzliche Informationen oder Studien nachzureichen. Dies kann weitere Kosten und Aufwände verursachen und potenziell zu regulatorischen Folgemaßnahmen (z.B. Beschränkung) führen.
- Zulassung (Authorisation):
Besonders besorgniserregende Stoffe (Substances of Very High Concern – SVHCs), wie z.B. krebserregende, erbgutverändernde, fortpflanzungsgefährdende (CMR), persistente, bioakkumulierende und toxische (PBT) oder endokrin wirksame Stoffe, können auf die “Kandidatenliste” gesetzt und anschließend in den Anhang XIV (zulassungspflichtige Stoffe) aufgenommen werden. Die Verwendung dieser Stoffe nach einem bestimmten “Sunset Date” ist nur mit einer spezifischen, zeitlich befristeten Zulassung erlaubt.
Compliance-Auswirkungen:
- Antragstellung: Extrem aufwendiges und kostspieliges Zulassungsverfahren, das eine Analyse von Alternativen und oft einen sozioökonomischen Nachweis erfordert.
- Substitution: Starker Anreiz zur Substitution von SVHCs durch sicherere Alternativen.
- Kommunikation: Pflicht zur Information von Abnehmern über das Vorhandensein von SVHCs in Erzeugnissen (> 0,1 Massenprozent). Informationspflicht gegenüber Verbrauchern auf Anfrage.
- SCIP-Datenbank: Notifizierungspflicht für Erzeugnisse mit SVHCs (> 0,1%) in der SCIP-Datenbank der ECHA (im Rahmen der Abfallrahmenrichtlinie, aber eng mit REACH verknüpft).
- Beschränkung (Restriction):
Für bestimmte gefährliche Stoffe können EU-weit Beschränkungen hinsichtlich ihrer Herstellung, ihres Inverkehrbringens oder ihrer Verwendung erlassen werden (Anhang XVII). Diese können von vollständigen Verboten bis hin zu spezifischen Anwendungsbeschränkungen reichen.
Compliance-Auswirkungen: Unternehmen müssen sicherstellen, dass ihre Produkte und Prozesse den geltenden Beschränkungen entsprechen. Dies kann Produktreformulierungen, Prozessänderungen oder den Verzicht auf bestimmte Stoffe erfordern. Laufende Überwachung von neu vorgeschlagenen oder erlassenen Beschränkungen ist notwendig.
- Kommunikation in der Lieferkette:
Informationen über gefährliche Eigenschaften und Maßnahmen zum Risikomanagement müssen entlang der Lieferkette weitergegeben werden, primär über das Sicherheitsdatenblatt (Safety Data Sheet – SDS). Für registrierte Stoffe mit gefährlichen Eigenschaften müssen den SDS ggf. Expositionsszenarien beigefügt werden. Nachgeschaltete Anwender müssen die im SDS und den Expositionsszenarien beschriebenen Verwendungsbedingungen prüfen und einhalten oder eigene Sicherheitsbewertungen durchführen. Informationen über SVHCs in Erzeugnissen müssen ebenfalls kommuniziert werden.
Compliance-Auswirkungen: Implementierung robuster Systeme für die Erstellung, Verteilung und Verwaltung von Sicherheitsdatenblättern. Sicherstellung, dass die erhaltenen Informationen geprüft und die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen im eigenen Betrieb umgesetzt werden. Aktive Kommunikation mit Lieferanten und Kunden.
Um alle gesetzlichen Änderungen im Blick behalten zu können, bietet SAT ein unternehmensindividuelles Rechtskataster, selbstverständlich mit allen Vorschriften der REACH-Verordnung. Wir beraten Sie gern!