Corona, Homeoffice und Stechuhr – Widersprüche in sich? Durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofes zur Vertrauensarbeitszeit bereits vor der Pandemie müssen Unternehmen die Arbeitszeit der Arbeitnehmer systematisch erfassen. Doch wie soll das gehen, wenn die meisten gar nicht im Büro sind, sondern von zuhause aus arbeiten?
Der Europäische Gerichtshof stellte bereits 2019 fest, dass „ohne ein System, mit dem die tägliche Arbeitszeit eines jeden Arbeitnehmers gemessen werden kann, weder die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden und ihre zeitliche Verteilung noch die Zahl der Überstunden objektiv und verlässlich ermittelt werden kann, so dass es für die Arbeitnehmer äußerst schwierig oder gar praktisch unmöglich ist, ihre Rechte durchzusetzen.“ Weiter heißt es: „Um die praktische Wirksamkeit der von der Arbeitszeitrichtlinie und der Grundrechtecharta verliehenen Rechte zu gewährleisten, müssen die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber daher verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzurichten, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann. Es obliegt den Mitgliedstaaten, die konkreten Modalitäten zur Umsetzung eines solchen Systems, insbesondere der von ihm anzunehmenden Form, zu bestimmen und dabei gegebenenfalls den Besonderheiten des jeweiligen Tätigkeitsbereichs oder Eigenheiten, sogar der Größe, bestimmter Unternehmen Rechnung zu tragen.“ (Quelle)
Bundesregierung bislang untätig
Wie lassen sich nun Zeiterfassung per Stechuhr und elektronischer Zeiterfassung und die gewünschte Flexibilität für Arbeitnehmer durch „Vertrauensarbeitszeit“ vereinbaren? Wie lässt sich das Urteil insbesondere zu Corona-Zeiten umsetzen, wenn große Teile der Belegschaft im Homeoffice arbeiten? Zunächst einmal sei an dieser Stelle Entwarnung gegeben: Die Bundesregierung hat mit der Umsetzung des EuGH-Urteils aus 2019 noch nicht einmal angefangen, einen Gesetzentwurf dazu gibt es in dieser Legislaturperiode offenbar nicht mehr.
Dennoch sollten sich Unternehmen darauf vorbereiten, dass es Regelungen zur Vertrauensarbeitszeit bzw. zur systematischen Arbeitszeiterfassung künftig auch in Deutschland geben wird. Denn die Ziele sind unumstritten – unter anderem der Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer durch die Begrenzung von Überstunden, aber auch die Beweisbarkeit von Arbeitszeiten im Zuge der Vergütung. Für Unternehmen macht es also auch im eigenen Interesse Sinn, sich mit der objektiven und verlässlichen Erfassung der Arbeitszeiten auseinanderzusetzen, bevor der deutsche Gesetzgeber das europäische Gerichtsurteil umsetzt.
Systematische Erfassung der Arbeitszeiten – aber wie?
Diskutable Lösungen auch im Homeoffice könnten beispielsweise sein:
- elektronische Erfassung der Arbeitszeit z.B. in SAP
- Erklärung der Mitarbeiter über die geleistete Arbeitszeit (quasi Vertrauensarbeitszeit mit Dokumentationspflicht)
Welches Modell für Arbeitgeber und Arbeitnehmer umsetzbar ist, sollte ein gemeinsamer Entwicklungsprozess zwischen Arbeitgeber und -nehmern sein, der bestenfalls schon begonnen hat. Unternehmen empfehlen wir die Prüfung ihrer vorhandenen Systeme zur Zeiterfassung, ob sie mit dem EuGH-Urteil vereinbar sind. Wer bisher die Arbeitszeit seiner Mitarbeiter gar nicht erfasst, sollte aktiv werden. Durch die Vorbereitung entsprechender Betriebsvereinbarungen können sich Unternehmen auf die Umsetzung des Urteils in deutsches Recht vorbereiten.